Wo finde ich die interessantesten Architektur-, Design- und Fotografiebücher? Diese Frage höre ich immer wieder. In Deutschland gibt es nur noch wenige Buchhandlungen, die Bücher zu diesen Themen führen, und lange habe ich überlegt, wie ich diese Lücke füllen kann. Mit MOKA begleiten wir unsere Leser*innen nun seit fast 10 Jahren, doch meine Liebe zu Architektur, Kunst, Design und Fotografie reicht noch weiter zurück. Schon bevor ich MOKA gründete, leitete ich die Architekturabteilung bei Sautter+Lackmann. Dann gab es JAM, mein erstes Büchermagazin, das sich ausschließlich diesen Themen widmete. Und es gab die Freundschaft mit Jutta, die viele Jahre die Marketingabteilung im jovis Verlag verantwortete. Was wir in unserer Vergangenheit bei der Buchhandlung Sautter+Lackmann, mit JAM und dem jovis Verlag lieben lernten, bekommt mit diesem Newsletter ein neues Zuhause.
Ab sofort zeigen wir jeden Monat Neuerscheinungen aus dem deutsch- und englischsprachigen Raum. Dabei legen wir den Fokus nicht nur auf aktuelle Architektur- und Fotografiethemen, sondern auch auf neue, inspirierende Perspektiven. Ergänzt wird das Ganze durch literarische Fundstücke, Tipps für besondere Ausstellungen und Empfehlungen von Buchhändler*innen und Architekt*innen.
Wir wünschen dir viele interessante Entdeckungen! Deine Enja und Jutta
KONTAKT:
Doris Kleilein ist Architektin, Autorin und Verlegerin in Berlin. Nach dem Studium an der TU Berlin und an der University of Manitoba (Kanada) hat sie das Architekturbüro bromsky (Berlin/Hamburg) mitgegründet und von 2005 bis 2018 als Redakteurin der Bauwelt zu Themen der Architektur und Stadtentwicklung publiziert, u.a. Ausgaben der Stadtbauwelt zur Flucht und Migration. Seit 2019 leitet sie den vielfach ausgezeichneten Architekturbuchverlag JOVIS in Berlin. 2020 und 2022 war sie Fellow am Thomas Mann House in Los Angeles, wo sie zu Stadtentwicklung und Gemeinwohl forschte. Gemeinsam mit Friederike Meyer hat sie 2021 das Buch „Die Stadt nach Corona“ herausgegeben.
Warum ist es Dir wichtig, Bücher zur Architektur und Stadtplanung zu verlegen?
Weil es um grundlegende Themen unseres Zusammenlebens geht: Wie wir wohnen, wie wir arbeiten, wie wir uns treffen. Wer mitmachen darf. Wer ausgeschlossen wird. Es gibt diesen großen gap zwischen der Fachwelt und der breiten Öffentlichkeit: Die Architekt:innenschaft ist – oder glaubt es zumindest zu sein – immer ein paar Schritte voraus und entwickelt Konzepte für neue Wohnmodelle, für Mobility Hubs, für zirkuläres Bauen. Doch außerhalb der Blase kommt davon wenig an. Wenn in den großen Medien Urbanismus-Themen diskutiert werden, dominiert ein holzschnittartiges Verständnis von Architektur, wie etwa bei der unsäglichen Diskussion, dass Bündnis 90 / Die Grünen angeblich Einfamilienhäuser verbieten wollten. Da gibt es viel zu tun: Zusammenhänge aufzuzeigen, aber auch Lust zu machen auf ein anderes Wohnen, das nicht auf Abschottung und maximale Quadratmeterzahl setzt.
Wo siehst du deine Zielgruppe über Fach-Leser:innen hinaus?
Alle, die sich für Gestaltung interessieren. Alle, die nicht nur ihr privates Umfeld gestalten wollen, sondern auch ihre Stadt, ihre Straße, ihr Viertel. Alle, die mehr über Architektur wissen wollen: Theorie, Geschichte, Hintergründe, Ideen für ökologisches Bauen. Und natürlich alle, die befreundeten Architekt:innen ein schönes Buch schenken wollen.
Wie siehst du die Zukunft? Wird es den Planer:innen gelingen, in unseren Städten Räume zu entwickeln, in denen sich die Menschen sicher und verbunden fühlen?
Das treibt mich an. Dazu beizutragen, dass Städte nicht dem privaten Immobilienmarkt und anderen wirtschaftlichen Interessen überlassen werden. Ich sehe gerade im Moment so viele Ansätze: Städte wie Paris oder Barcelona (leider nicht Berlin) geben Gas bei der Verkehrswende oder sie experimentieren mit neuen Nutzungen für leerstehende Immobilien wie Kaufhäuser oder Büros. Aber die Lösung vieler Probleme liegt nicht allein in der Hand von Planer:innen. Sie können Impulse geben mit flexiblen Wohnungsgrundrissen, inklusiven Konzepten für öffentliche Plätze, für mehr Grün in der Stadt gegen die Hitze. Doch Rahmenbedingen müssen politisch gesetzt werden, etwa mit der Förderung von Genossenschaften, sozialem Wohnraum, post-fossiler Mobilität. Und das nicht nur in den relativ saturierten Städten Europas, sondern weltweit, wo Planer:innen mit viel gravierenderen Problemen kämpfen müssen.
Architektur und Stadtplanung beeinflussen unser aller Leben. Können Bücher darüber den gesellschaftlichen Diskurs beeinflussen?
Auf jeden Fall. Ich denke nur an Jane Jacobs’ The Death and Life of Great American Cities oder Die Unwirtlichkeit unserer Städte von Alexander Mitscherlich. Das sind Bücher, die eine ganze Generation geprägt haben. Viele, die sich für Stadtentwicklung interessieren, aber nicht professionell entwerfen oder planen, haben den Eindruck, die Stadt sei fertig gebaut und die Prozesse seien so kompliziert und langwierig, dass sie ohnehin keinen Einfluss haben. Hier können Bücher vermitteln, anregen. Oder auch dazu aufrufen, sich einzumischen. Ein Buch, das mich (und viele andere Architekt:innen) sehr beeinflusst hat, ist Delirious New York von Rem Koolhaas aus dem Jahr 1978: ein Schlüssel, um diese wahnwitzige Ballung namens Manhattan zu verstehen. Oder der Essayband Sexuality & Space, herausgegeben von Beatriz Colomina, in dem bereits vor mehr als 30 Jahren sehr pointiert der männlich geprägte Blick auf die Architektur entlarvt wurde.
Wie wichtig sind Dir als Verlegerin digitale Medien und Tools? Ersetzen oder ergänzen sie Bücher?
E-Books und Datenbanken ergänzen gedruckte Bücher, sie bieten ja ganz andere Möglichkeiten: Suchfunktionen und Verlinkungen im E-Book erleichtern die Recherche, Datenbanken können wachsen und laufend aktualisiert werden. Seit einigen Jahren stellen wir einen Teil unseres Programms auch im Open Access zur Verfügung: E-Books können kostenfrei über unsere Webseite heruntergeladen werden. Dadurch machen wir Inhalte auch Leser:innen zugänglich, für die Bücher nicht erschwinglich sind oder die in Regionen der Welt leben, in denen es keinen Zugang zu öffentlichen Bibliotheken und keine Buchhandlungen in Reichweite gibt.
Elke Pahl-Weber ist eine deutsche Architektin, Stadtplanerin und Hochschullehrerin. Sie ist Professorin für Bestandsentwicklung und Erneuerung von Siedlungseinheiten am Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin. Zu ihren Schwerpunktthemen gehören Megastädte, energieeffiziente urbane Strukturen sowie integrierte und nachhaltige Stadtentwicklung. Außerdem forscht und berät sie Kommunen zum Thema Smart Cities
Für die Architektin ist Wohnen nicht nur ein Ort, sondern eine Tätigkeit, ein Gefühl, ein Rückzugsraum. „Hier”, sagt sie, „entfalten wir uns, kommen zur Ruhe, entscheiden, wen wir einlassen.” Doch Wohnen endet nicht an der eigenen Tür – es lebt von der Nachbarschaft, vom Miteinander. Für sie ist es das Zusammenspiel aus Privatsphäre und Gemeinschaft, das unser Zuhause erst wirklich ausmacht.
Wohnen ist eines der wichtigsten gesellschaftlichen Themen. Wie ist unsere Vorstellung vom Wohnen geprägt?
Wohnen ist eine Tätigkeit, ein Ort, ein Gefühl und ein Hafen. Menschen haben in ihrer Wohnung ihr Zuhause, in dem sie sich entfalten, ausruhen und Kraft sammeln können. Sie können für sich sein, aber auch entscheiden, wen sie zu sich hereinlassen. Und das Wohnen erfolgt in einer Nachbarschaft, deren Funktionieren das Wohnen zu einem Gemeinschaftserlebnis macht. Das ist meine Vorstellung von Wohnen. Nach Standards und Ansprüchen an Repräsentativität ist Wohnen aber auch oftmals verknüpft mit einer definierten Anzahl von Räumen, deren definierte Größe und der Erfolg von Wohnen wird gemessen an der Zahl der Wohnungen, die der Nachfrage gegenübersteht.
Wie beeinflussen veränderte Wohnbedürfnisse, die Digitalisierung der Lebenswelten, wirtschaftliche Unsicherheiten oder Zuwanderung die Wohnungsfrage und -planung?
Die Veränderungen sind groß: Die Quantitäten sind zunehmend schwer absehbar – welche Wohnung wird für welche Nachfragegruppe gebraucht? Wir wissen schon jetzt, dass barrierefreie Wohnungen für die alternde Gesellschaft in nicht annähernd großer Anzahl vorhanden sind. Die Nachfrage ist da, das Segment der oberen Einkommen kann sich gut versorgen, bei mittleren Einkommen wird ein Umzug oftmals zu einer nicht zu finanzierenden Herausforderung. Digitalisierung kann ein Baustein, ein Hilfsmittel sein. Sie muss nur, wie wir gerade sehen, mit großem Sicherheitsmantel geplant werden.
Was sind für Sie die größten Herausforderungen im Wohnungsbau?
Zurzeit ist es die Anzahl der Wohnungen – ein Wohnungsmarkt, der weit weniger Wohnungen bereithält, als nachgefragt werden. Damit steigen die Mieten in Höhen, die dem eigentlichen Zweck gar nicht mehr angemessen sind. Eine Umstellung auf neue Wohnformen und Wohnformate ist in vielen Einzelprojekten in Arbeit, bereits realisiert, versucht, aber nicht zum Standard geworden. Der Bestand an Wohnungen ist weit größer als die hinzukommende Zahl. Neue Formate im Bestand – Umbau von nicht mehr benötigten Gebäuden mit anderen Funktionen, Umbau bestehender Wohngebäude zu neuen Wohnformaten – das ist eine sehr große Herausforderung. Und das nicht zuletzt, weil die Gewohnheit die Vorstellung von Wohnen so starr prägt. Der Weg zu neuen Formaten braucht Erfahrung und Unvoreingenommenheit. In einem Projekt zur Hamburger Innenstadt, in dem Umgebungen durch ein Mapping erfasst werden, haben sich auch Kinder mit dem Wohnen beschäftigt. Das ist für mich der richtige Ansatz: Schon Kinder lernen hier mehr über Wohnen, als sie in einem Kinderzimmer in einer üblichen Wohnung lernen können.
Wie wichtig ist das Verhältnis von natürlicher, gebauter und gestalteter Umwelt für den Wohnungsbau?
Wohnen dient auch der Regeneration, dafür sind Erholung, Entspannung und eine gesunde Wohnumgebung unerlässlich. Wir wissen heute, dass Baumaterialien für die Gesundheit wichtig sind, aber auch im übertragenen Sinne zum Wohlfühlen beitragen. Bauen ohne Baustoffe mit starkem CO₂-Ausstoß – wie es bei Beton der Fall ist – kann zum Klimaschutz beitragen und damit zu gesunder Luft. Kreislaufkonzepte für technische Einrichtungen beim Wohnen schärfen die Beziehung zum Ressourcenverbrauch: Grauwassernutzung, statt Toiletten mit Mineralwasser zu spülen, wie man in den Niederlanden gerade sagt, Waschen mit Solarstrom, Heizen und Kochen ohne fossile Energien – das ist heute möglich. Begrünung von Fassaden, grüne Wiesen, Bäume, die Schatten spenden, sind in einer Wohnumgebung Angebote zur Entspannung. Die Klimaforscher warnen inzwischen vor sehr starken Stürmen, vor Regenereignissen und Fluten, die noch stärker sind als das, was wir in den letzten Jahren schon gesehen haben. Hier vorsorgen heißt nicht zuletzt, in Zukunft auch wohnen zu können.